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Blunt ~ Changes (2010)

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Die Familie macht den Folk

Weshalb denke ich, während ich der Musik von Blunt lausche und Infos sammele, an Jaques Derrida? An der Herkunft liegt es nicht. Derrida war Franzose und Blunt stammen aus dem flämischen Teil Belgiens. Die Sprache ist es also auch nicht. Außerdem singen Blunt auf Englisch und ihre Internetauftritte sind strikt auf Niederländisch. Nein, was mich an Derrida denken lässt, ist das Prädikat „Folkrock“, welches die Fünf ihrer Musik voranstellen, sowie der Titel der neuen Platte: „Changes“.

Derrida verteidigte, ganz vereinfacht gesprochen, jede auch noch so freie Interpretation.

Kurz vor dem aktuellen Album sandten uns Blunt freundlicherweise ihre bereits 2007 erschienene Platte „Where Minds Touch“ zu, sie wird wegen des Alters hier nur nebenbei besprochen. Ich hatte so die Möglichkeit mich einzuhören und mir Gedanken darüber zu machen, weshalb die Band der Meinung ist, ausgerechnet Folkrock zu spielen. Egal wie die Musik heißt, sie spielen auf jeden Fall hervorragend. Jeder ist ein erfahrener Musiker und wie man Songs schreibt haben sie auch gelernt. Aus lauter Spielfreude bieten sie uns sogar zwei Instrumentals. Das eine, „Juggernaut Suite- Russian Man- Lost Cat“, dauert über sechs Minuten und zeugt mit mehrstimmigen Streicherparts von musikalischem Verstand.

Der kommt nicht von ungefähr, Bassist Stijn hat Musik studiert und Keyboarder Lander kennt sich als Jazzer ebenfalls in der Welt der vielen Töne aus. So bringt jeder seine Vorlieben und Fähigkeiten ein. Zumindest Sänger/Geiger/Texter Rik zeigt sich hier deutlich vom Folk beeinflusst, ohne regional festgelegt zu sein. Die Songs klingen mal nach Schottland, mal nach Irland und gerne nach Amerika. Neben den traditionelleren, akustisch instrumentierten Stücken („Silver Girl“, „Wonderful Day“) gibt es natürlich ein paar Rocker („One way track“).

Das Stück „Something Good“ vereint exemplarisch alle seiten der Band: erst ein ruhiges Vorspiel, dann ein schnelleres Intro, beides ganz klar Folkrock. Darauf verändern sich die Tonleitern und wenn die Strophe beginnt, schwenkt die Band auf lässige Offbeats um, im Hintergrund quiekt es elektronisch. Meine Irritation entsprang eben dieser sehr groovigen, tanzbaren Seite. Mit dem Keyboarder hat die Band einen großen Funk und Soul- Fan in ihren Reihen. Daher stammen die Offbeats, die Reggae- Bassläufe oder wuchtig funkende Rhythmen. Hie und da orgelt es einem gar in feinster Doors- Manier um die Ohren. Diese Erweiterung des Sounds strengt zuerst an, da das Album etwas unentschlossen erscheint, macht die Musik von Blunt aber angenehm abwechslungsreich.

„Changes

Nun ist es also an mir zu interpretieren. Hat „Changes“ eine tiefere Bedeutung? Mal hören… Und? Es rummst! Was einem hier entgegen tönt hat viel mehr kraft. Der erste Song „She`ll Be Back“ gibt die Richtung vor. Man denkt an die Scorpions: Hardrock- Riffs, große Chöre und die Geige wird wie eine Leadgitarre eingesetzt. Was ist da geschehen? Das Info erzählt von einem neuen Gitarristen und der scheint die ganze Band mitgerissen zu haben. Ja, zu dieser Platte passt die Selbstverortung. Das Vorgängeralbum scheint die Ausnahme gewesen zu sein. Nicht, dass „Changes“ keine Abwechslung böte oder weniger groovte, insgesamt erscheint das Album aber stimmiger. Nebenbei bemerkt ist „Changes“ bereits das vierte Album der Belgier in fast zehn Jahren Bandgeschichte. Sie scheinen also zu wissen was sie treiben und die Hörproben aus den ersten zwei Alben klingen durchaus klassischer.

Um das genaue Hinhören kommt man jedoch auch hier nicht herum. Der aktuelle gitarrenorientierte Sound klingt mitunter eintöniger und bei oberflächlichem Hören entgehen einem die Details und Unterschiede. Wie z.B. das düstere „Unlock“. Mit Wah-Wah-Sounds und percussiven Drums klingt es etwas nach 80er New- Age-Klängen. Aus den 60er- Jahren scheint „Insecure“ zu stammen, mit perlendem Piano lässt es die Doors als inspirative Väter erkennen. Auf die Seite des Funk hat sich „Feeling Good“, geschlagen: ein groovender Bass und Offbeats zielen Richtung Dancefloor.Entgegen dem Titel klingt der Song gar nicht so fröhlich. Es wird eine obskureLiebesgschichte erzählt, deren einziges Gute scheinbar darin liegt, dass derProtagonist die Frau wieder los ist. Überhaupt fragt man sich, was dem Texter in der Zwischenzeit geschehen ist. Gut die Hälfte der Songs beschäftigen sich mit den unglücklichen Seiten der Liebe (leider stehen keine Texte im Booklet, sodass manche Stelle etwas unklar bleibt).

Auf der Vorgängerplatte waren die Themen noch breiter verteilt. Die waren auch nicht alle schön, es ging um Drogenprobleme oder kritische politische Zustandsbeschreibungen. Meistens jedoch gab es irgendwo einen Aufruf nicht den Mut zu verlieren. Natürlich gibt es das noch, Blunt wirken nicht wie Menschen, die keine Lebensfreude haben.Generell scheinen sie eher entspannt und geduldig auf das Leben zu blicken. Dennoch, da ist ein apokalyptischer Metalsong wie „This World“ und eben erwähnte Gefühlslieder. Eines davon ist: „The Girl“. Es startet mit spannungsvollen Klavierakkorden und soll wohl romantisch sein, wird aber nicht nur musikalisch rauer. Diese Seite steht Blunt leider nicht so gut zu Gesicht. Ob da wohl eine Midlife- Crisis mitmusiziert hat? Dafür spräche auch „These Days“, welches hochpathetisch die Treue beschwört und leider zu arg nach Bon Jovi klingt. Allerdings findet sich schon einen Song vorher mit „The Proof“ der Hit der Platte. Ein relaxter, leicht schräger Countrysong, der an einem vorüberstolpert und von der Familie erzählt: „Hey! It`s time to expand the family…“. Solche Zeilen hört man selten im Rock.

Kindererziehung und Familienleben, lebensnah und unironisch, da findet sich plötzlich die Authentizität, die den ganzen harten Jungs stets so ein angestrengtes Anliegen ist. In diesen Momenten sind Blunt tatsächlich besonders, wenn sie nicht alles so schwer nehmen, wenn sie nicht meinen uns von der blöden Welt berichten zu müssen (das können andere besser und man kennt den Blödsinn ja selbst), sondern uns tanzen lassen und von sich erzählen. Dabei findet sich genug Welt, aber auch eine Ahnung wie es anders geht.

 

Trackliste

  1. She`ll be back
  2. At Last
  3. Keep it to yourself
  4. The girl
  5. People at the top
  6. Feeling good
  7. The proof
  8. These days
  9. Insecure
  10. Not that bad
  11. Unlock
  12. This world
  13. Natural needs

 

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