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Chumbawamba ~ ABCDEFG (2010)

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„Anarcho-punk, folk, hardcore punk, world, post-punk, dance, alternative rock.“ Soweit die Genrebeschreibung der englischen wikipedia für das, was Chumbawamba machen oder gemacht haben. Gleichzeitig treffend und ziemlich daneben. Was sie heute in Wirklichkeit tun: Singen. SINGEN! Das aber auf ziemlich einzigartige Weise. Zugegeben, wir verlassen hier die vertrauten Gewässer des keltischen Rock ein wenig und schauen, wohin uns der breite Fluss Musik noch treiben könnte, der sich aus Rock, Folk und anderen Zu- und Einflüssen speist.

Chumbawamba kommen aus Leeds, existieren seit ca. 28 Jahren und hatten 1997 mit Tubthumping einen internationalen Chart-Erfolg. Viele akustische Kombos haben sich wie die Oyster Band irgendwann elektrisch verstärkt, aber den umgekehrten Weg von den Rockbühnen zurück zum Folk hat wohl keine Band so konsequent eingeschlagen. Aus einem großen Mitgliederkollektiv hat sich ein akustisches Quintett herauskristallisiert.

Ebenso wie auf den beiden Vorgänger-Alben A Singsong and a Scrap oder The Boy Bands Have Won erzählen die Chumbas kurze, pointierte Geschichten. Der Titel ABCDEFG steht für die Tonleiter mit allen ihren Möglichkeiten. Ihr Thema – der Mensch und die Musik – wurde von Kollegen eher zum Stoff für schwülstige Arien („Music was my first love..“/ John Miles) benutzt. Die fünf Briten schreiben weniger über die persönliche Befindlichkeit, sondern stellen kleine Episoden dar, in denen es um die Bedeutung von Musik für einzelne Menschen und Menschengruppen geht. Der abgedeckte Zeitraum reicht vom ersten Weltkrieg bis jetzt. Da wird nicht rockig, aber sehr gekonnt mehrstimmig gesungen und geschickt instrumentiert.

Die drei Herren und zwei Damen spielen akustische Gitarre, Trompete oder Akkordeon. Sie haben zusätzlich eine Schar exzellenter Instrumentalisten angeheuert: ein paar prominente Folkies für Cello-, Klavier- oder Geigensoli sowie Gesang, eine Blaskapelle und ein Streicherensemble. Alles wird sehr durchdacht mit Bezug zum Inhalt des Songs eingesetzt.

Chumbawamba-Foto: Casey Orr

Chumbawamba haben eine Begabung für eingängige Melodien, gleich ob es folkig, klassisch oder jazzig sein soll. Ohne Hintergrundinfos sind einige Songs nicht zu erschließen, aber zum Glück singen sie die Texte recht deutlich. Die betont harmlose Verpackung kontrastiert mitunter kräftig mit dem bissigen Inhalt.

Die Band hat sich aus ihrer Pop-Zeit die Gewohnheit bewahrt, Samples einzubauen, dier oft das i-Tüpfelchen eines Songs sind, etwa das Vogelgezwitscher für die iPod-Nutzerin, die überlegt, ob ihr beim Spaziergang nicht doch was entgeht. Ein bisschen versponnen die Geschichte vom Teenie, der unter der Bettdecke dem Transistorradio lauscht, oder von der Hobby-Opernsängerin, die entsetzlich schief Madame Butterfly schmettert. Highlight ist für mich die schwungvolle Hymne an das spontane, gemeinsame Singen in größeren Gruppen, auf Demos und anderswo: Voices that’s All. Voll bitterer Ironie das a-capella-Soldatenlied Singing out the Days, angelehnt an das irische Johnny I Hardly Knew Ya. So weit, so konventionell.

Aber wer sonst würde auf den Gedanken kommen, ein Lied aus der Sicht des protestierenden Ex-KZ-Häftlings zu machen, welcher mit einer Rassel gegen die Aufführung einer Wagner-Oper in Israel protestierte? Wagner war schließlich ein Lieblingskomponist der Nazis. Den Zweck, zu dem Musik verwendet wird, kann man eben nicht einfach ignorieren. Chumbawamba machen seit ihrer Zeit als Hausbesetzer engagierte, politische Texte und haben keine Scheu davor, auch mal anzuecken.

Musik von Metallica wurde nachweislich benutzt, um in Guantanamo Bay Gefangene zu foltern. James Hetfield als Kopf der Band fand das vollkommen in Ordnung und war stolz auf seinen „patriotischen“ Beitrag. Zur „Strafe“ wird er nun im Lied gefesselt und mit  Simply Red beschallt, aber erst „Chumbawamba’s Greatest Hits“ lassen ihn alles gestehen (Torturing James Hetfield).

Auf so was kommen sonst nur Kabarettisten. Ähnlich schwarzhumorig geht es im großen Finale zu, einem imitierten Morris-Tanz. Durch den Kakao gezogen wird diesmal der Chef der rechtsextremen Partei BNP, die versucht, Folk-Traditionen zu instrumentalisieren. Dance Idiot Dance ist nicht Chumbawambas erster Anti-Nazi-Song, sie unterstützen auch die Initiative „Folk Against Fascism“.
Dann gibt es noch die angeblich wahre Geschichte vom gescheiterten Raubüberfall, wo das ausgeguckte Opfer zwei Täter mit einer dadaistischen Gesangsperformance in die Flucht schlägt (Ratatatay). Musik kann schließlich auch Positives bewirken.

Auch wenn der Einstieg, eine Brecht-Übertragung, etwas düster klingt: “Will we be singing in the bad times? Yes, we’ll be singing of the bad times.”  So sehr zum Fürchten können die schlechten Zeiten nun nicht mehr sein.

Trackliste

1. Introduction
2. Voices That’s All
3. Pickle
4. Wagner At The Opera
5. Underground
6. Torturing James Hetfield
7. The Devil’s Interval
8. Hammer Stirrup And Anvil
9. Puccini Said
10. That Same So So Tune
11. Singing Out The Days
12. You Don’t Exist
13. The Song Collector
14. Missed
15. Ratatatay
16. New York Song
17. Dance Idiot Dance

Chumbawamba sind in diesen Tagen in Deutschland und der Tschechei unterwegs. Am 15. Mai kann man sie noch im Berliner Kesselhaus sehen und singen hören.

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