Als ich Gary Miller zum ersten mal als Sänger der Whisky Priests gehört habe, erinnerte mich dessen Stimme an eine Mischung aus Dead Kennedys-Frontmann Jello Biafra und Rock n´Roll Ikone Chubby Checker. Tatsächlich waren die Whisky Priests aus Nordengland die wohl einzige Folk Punk Band der 80er, die den Pogues das Wasser reichen konnten, wenn es um Tempo und Energie ging. Und das Gary Miller ein Faible für ausgefallene Albumkonzepte hat, bewies er bereits 1995, als er mit den Whisky Priests das Album „Bleeding Scetches“ veröffentlichte, auf dem ausschließlich Gedichte des englischen Poeten Keith Armstrong vertont wurden, die dieser extra für diese Veröffentlichung geschrieben hatte. Nachdem die Band 2004 das Handtuch warf, legt Gary Miller nun sein erstes Soloalbum vor, und wieder bekommen seine Fans es mit einem ungewöhnlichen Konzept zu tun. Auf „Reflections On War“ dreht sich alles um das Thema Krieg, wobei sich jedes Lied aus einem anderen Blickwinkel diesem sensiblen Thema nähert.
Das Album entstand eigentlich eher zufällig, als Gary Miller im Rahmen eines Kunstprojektes, das mit „Refelections On War“ betitelt war, einen Workshop zum Thema „Songwriting and Poetry“ gab. Highlight das gesamten Projektes war eine Kunstausstellung, auf der Bilder, Gedichte und gesammelte Erfahrungsberichte rund um das Thema Krieg präsentiert wurden. Inspiriert von der Kunst anderer involvierter Künstler, sowie der Zusammenarbeit mit den Workshop-Teilnehmern schrieb Gary Miller schließlich 10 Songs rund um das Thema Krieg. Im Gegensatz zu den alten Whisky Priests Aufnahmen ließ es der Sänger auf diesen Aufnahmen eher ruhig angehen und setzte ähnlich wie Johnny Cash auf seinen letzten Alben eher auf Minimalismus. Auch wenn neben den von Gitarre und Mandoline getragenen Gesängen gelegentlich auch Geige, Klavier, Tin Whistle, Orgel, Trompete, Bass und Schlagzeug zum Einsatz kommen, sind die Arrangements immer auf das Wesentliche reduziert, so dass Gary kein Problem damit haben dürfte, seine Songs auch als Solokünstler live zu präsentieren.
Interessanterweise ist es dem Künstler ein offensichtliches Anliegen, den Hörer an seinen Inspirationsquellen teilhaben zu lassen. Deshalb enthält das Booklet viele Bilder, Fotos und Linernotes unter den Texten, die den Liedern oft eine viel tiefere Bedeutung geben. So ist der Opener „Twa Scots Soldiers“ nicht nur an den schottischen Folk-Song „Twa Recruiting Sergeants“ angelehnt, sondern auch von Eugene Alluards Bild „Two Soldiers In Kilts“ (1914) inspiriert worden. Die wahre Geschichte von Archibald Mill, der im Ersten Weltkrieg kämpfte und die Trompete in einer Militärkapelle spielte, war die Vorlage für gleich zwei Liedern; dem Gänsehaut erzeugenden „Bold As Brass“, sowie dem von einer netten alten Dame (Barbara Petrie) gesungenen „Grandpa Mill“. Wen der Songschreiber als die tatsächlichen Helden eines Krieges betrachtet, zeigen Songs wie „Sister Of Mercy“ oder „A Hospital Ship At Tabruck“, basierend auf die Geschichten der Krankenschwestern Gwyneth Thomas und Effie Townend, die sich mitten im Bombenhagel aufopfernd um die Verwundeten kümmerten.
Es ist erstaunlich, wie viele unterschiedliche Stimmungen zu diesem eigentlich eher düsteren Thema vertreten sind. So werden Hoffnung, Fröhlichkeit, Galgenhumor und Dankbarkeit genauso thematisiert wie Todesangst, Heimweh, Verbitterung und Zynismus.
Würde man nach Kritikpunkten suchen, würde einem vielleicht auffallen, dass manche Kompositionen noch nicht endgültig ausgereift klingen, als wäre der Song sofort aufgenommen worden, ohne weiter daran zu feilen. Auch vergeigt Gary (wie auf manchen Aufnahmen der Whisky Priests) auch mal den einen oder anderen Ton, was auf Studioaufnahmen für viele einer Todsünde gleichkommt. Allerdings muss ich sagen, das gerade die Tatsache, dass hier mehr Wert auf echte Emotionen und Authentizität als auf Perfektion gelegt wurde, als einen der absoluten Pluspunkte empfinde. Gary Miller kann vielleicht nicht singen wie Ronan Keating, dafür haben seine Stimme, sowie sein Gesangsstil (ähnlich wie bei Shane MacGowan oder Joe Strummer) einen extrem hohen Wiedererkennungswert. Und im Gegensatz zu vielen stocksteifen Perfektionisten dürfte Gary in der Lage sein jeden vollbesetzten Pub innerhalb von 20 Sekunden in einen Hexenkessel zu verwandeln, egal ob es sich bei den Anwesenden um alte Fans der Whisky Priests oder um Folk-Puristen handelt. Und nur darauf kommt es im Bereich Folk an, Menschen zu bewegen und mitzureißen, sie nachdenklich, glücklich oder auch traurig machen zu können. Das gelingt Gary Miller nicht nur musikalisch, sondern auch mit seinen hervorragenden Texten. Deshalb möchte ich diese Album-Besprechung mit den letzten Worten des Songs „One Soldier´s Thoughts“, die auch gleichzeitig die letzten Worte des Albums sind, abschließen:
So please don´t miss me when I´m gone
Pray for us who into this maelstrom are hurled
While I dream of those dearest to me
And pray for peace in a better world
Songliste:
- Twa Scots Soldiers
- Bold As Brass
- Sister Of Mercy
- Somewhere At The Front, Somewhere
- Grandpa Mill
- Battleships
- A Hospital Ship At Tobruk
- Yellow Bird
- Soldiers Of The Lord
- One Soldier´s Thoughts
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