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Polkaholix ~ polkaface (2010)

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Ginge die Geburt des 13-titligen Meisterwerks polkaface nicht in die Annalen der musischen Vielfaltsgeschichte ein, versündigten sich die Hörer gegen die polkasüchtigen Berliner. Neben Polka, Rock, Ska, Schlager, Pop, klassischen Motiven, Salsa, Balkanmusik und Klezmer bietet der Silberling eine fundamentale Palette an Facettenreichtum. Nebst des originellen Albumtitels verdient auch die Aufmachung des Covers unbedingte Hinwendung. Nicht selten spiegeln sich Detailfreude und Innovation schon in der optischen Aufarbeitung eines Albums wider. Das polkaface-Booklet wird den hohen Ansprüchen seiner Musik gerecht, versteht es, sich zu karikieren und brilliert mit liebenswerten Anmerkungen zu den einzelnen Liedern. Beim Titel „Spare Ribs“ heißt es nur „Na dann guten Appetit!“, indes bei den anderen Tracks in englischer und deutscher Sprache kurzweilige Anekdoten zum Bestem gegeben werden.

Doch zurück zur Musik: Betont berlinerisch eröffnet „VIPs“ das Album. Zwischen echoendem Brachialgesang arbeiten sich die Bläser die Lungen aus dem Hals. Der Bass mäandert ruhestiftend bis zum finalen Bläserexodus, der durch ein lautes Einatmen eingehend persifliert wird, im Hintergrund. Ohne Umschweife geht es weiter. „Hans bleib da“, aus musikalischer Kindheit und dem Unterricht eher als bisweilen zähe Kost im hörgeschmacklichen Hinterstübchen bespinnwebt, erfährt einen Grundanstrich, der nicht mehr aus dem Kopf zu kriegen ist. Artgerecht präsentieren Polkaholix eine gesunde Mischung aus eigenen Impulsen und Wohlbekanntem,  was sowohl Text als auch die Musik anbelangt.

Selten leistet ein Album, was polkaface dem Anschein nach spielerisch gelingt: (Fast) jeden Titel auf gefälligem Höchstniveau zu präsentieren. Wenn ich also „Hans bleib da“ als einen meiner unbedingten Favoriten dieses Albums hervorhebe, dann mehr als gleichen unter gleichen, denn als Ausnahme.

Der namengebende sprachliche Ausnahmetitel „polkaface“ präsentiert sich im englischen Gewand und büßt dennoch nicht an rotzigem Berlinercharme ein. „Weißes Boot“ persifliert, nah an der ertragbaren Kitschgrenze, bei Ohrwurm und -blutgefahr das Schlagergenre. Vor dem geistigen Auge entspannt sich das Bild des dauerlächelnden Gute-Laune-Idols, das mit edelweißem Permanentgrinsen, einnehmendem Schwiegergroßelterncharme und herzzerreißendem Jaulgesang die Herzen einer ganzen Rentengeneration zu gewinnen vermag. Gleich dem Leierkastenmann von nebenan wird das Ganze noch von stilistisch einwandfreiem Gepfeife umspielt.

Ob Karikatur oder ernsthafte Bearbeitung von Kinderliedermotiven polkaface schafft Ohrwürmer im Akkord. Wie am Fließband reiht sich Titel an Titel, sodass es bisweilen fast anstrengend wirkt, dass man als Hörer bei keinem mittelmäßigen Titel abschalten kann. Polkaholix begnügen sich jedoch nicht mit Halbfertigem oder Mittelmäßigem.

Wer musikalisch also nicht borniert oder eingefahren ist, sollte sich polkaface unbedingt zu Ohre nehmen und sich dem Rausch der technisch virtuosen Vielfalt, bei eingängiger Hörerfreundlichkeit und dreister Neu- und Absurdinterpretation hingeben. Polken heißt hier nicht nur genießen, sondern vielmehr neu hinhören und mittanzen. Wer bei dieser CD stillhalten kann, sollte baldigst einen Arzt aufsuchen.

Achtung! Diese Musik macht süchtig! Und das nicht zu knapp …

Trackliste

  1. VIPs
  2. Hans bleib da
  3. S.C.H.E.I.D.U.N.G.
  4. Polkaface
  5. Ich kann dich nicht mehr leiden
  6. Weißes Boot
  7. Hypothekenpolka
  8. Dumm gelaufen
  9. Heut‘ Nacht
  10. ANNA (Lass mich rein lass mich raus)
  11. Spare Ribs
  12. Aber manchmal
  13. Tritsch-Tratsch Polka

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