Dass das neuste Album der Roving Crows, Bacchanalia, ein Banner ziert, dass die vierköpfige Formation als Gewinner des „Irish Music Association Award“ ausweist, sieht nicht nur vortrefflich aus, sondern spricht qualitative Bände. Und dies in doppelter Hinsicht: Einerseits rekurriert ein solcher Preis im besten Fall auf gewisse kreative, instrumentelle und vokale Prädikate, andererseits – und dies ist hoffentlich richtungweisend für die nicht selten antiquierte und etwas angestaubte Irish-Folk-Puristen-Gemeinde – aber auch auf eine stilistische Aufweichung des Irish-Folk-Genres.
Der Opener des Albums, Long Time Dead, läutet den Zirkus- bzw. Gypsy-Folk ein, der in dieser Form absolut Originalität für sich beanspruchen darf. Nebst Gitarre, dem obligatorischen Bass und einem sparsam-wirkungsmächtigen Schlagzeug erklingt nicht nur eine Fiddle mit Doppelsaitenakkorden, sondern eine Trompete, die dem bis dato schon bunten Klangmix eine exklusive Note aufstempelt. Der Männergesang wird von der geigenführenden Dame verstärkt, der bisweilen in vergnüglich, aufjuchzende Gestade entflieht, und von einer unbändigen Spielfreunde kündet. Trompete und Violine umspielen sich und den Gesang in trauter Harmonie und wechselwirken in staffelstabweiterreichender Wechseldominanz miteinander.
Wie schon der erste, stimmt auch der Folgetitel in Offbeat-Manier die Töne an. Das aber in einer wunderbar unmilitanten Art und Weise. Dass es aber auch andersartig geht, und eine diesbezügliche Variabilität bleiben viele Folkrock-Alben leider schuldig, beweist Roll On Tomorrow. Rhythmisch gemäßigt, mit einem walkenden Bass ausstaffiert, wird der namengebende Refrain ad hoc zum Ohrkriecher und wurmt sich in das Gemüt des Hörers. Auch hier erfrischt die intonationstechnisch nicht astreine Vielstimmigkeit den Titel ungemein und forciert einen zigeunerhaften Gesamteindruck. Dieser wird nicht nur durch die technisch feine Klinge der Violine angeschlagen, sondern auch durch die verspielte Trompete. Als Intermezzo erklingt eine A-Cappella-Variation des Refrains, in der sich die Stimmgewalt der vier Musiker Bahn bricht, die im Folgenden weitergeführt und von den Melodieinstrumenten wohlfeil umspielt wird.
Dass The Roving Crows aber auch ruhige Töne anstimmen können, beweisen sie mit Time. Mit der weichen Sanftheit eines Horns erklingt die Trompete, indes sich die Violine durch die Zwischenteile schluchzt, sich in tiefe Doppelseiten ergießt, um für den zweistimmigen Sangeswohlklang Platz zu machen. Doch kaum verklingt die Endlichkeit alles Zeitlichen, zuckt das Tanzbein zum That-Was-Then-Stelldichein.
Solistisch, und nicht als hintergründiger Heiterkeitsimpuls, erklingt im siebten Titel des Silberlings die Stimme der einzigen Dame der Formation als hauptstimmgebend. Auch hier werden stilistische Stereotype munter durchmischt. Indes sich die Trompete zu einem quasi-spanischen Solo aufmacht, und ob der erreichten Tonhöhe von einer hohen Lippenkunst zeugt, erklingen fast rockige Elemente, die den harmoniesüchtigen Gesang fast ad absurdum führen mögen.
Jeder Titel des Albums ist ein Unikum und dennoch zerbricht das Album nicht in ein loses Stückwerk einzelner Teile, sondern geht eine Symbiose ein, die am Ende als Mischung vielfältigster Unterschiedlichkeiten darbietet. The Roving Crows präsentieren mit ihrem phonetisch wenig erschwinglich benamsten Album eine Folkmischung, die Originalität und Intuition vereint. Wer auf Folkrock oder detailarme Strophe-Refrain-Stereotype steht, sollte von diesem Album wahrscheinlich die Hände lassen. Wer sich indes für musischen Multikulti begeistern kann, gängige musische Klischees gern persifliert hört, wer vor allem aber keine Berührungsangst mit richtungsweisendem Neu-Folk hat, der darf dieses Album nicht nicht daheim haben!
Trackliste
- Long Time Dead
- Love is the Finest Thing
- Roll On Tomorrow
- White Petticoat
- Time
- That Was Then
- Brother
- Woman After My Own Heart
- President Garfield’s Night Out
- Dirty Habits
- Days in the Sun
- More Than One
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