Pagan Folk? „Wylde Folk“? Das klingt nach einer exotischen Sache, nach dem Horizont des Tellerrands, der danach schreit, erkundet zu werden. Komm daher mit auf eine tanzbare Reise durch die Zeit, hinein in die Welt alter Mythen und Götter. Unser Reiseführer ist die österreichische Band „Wûtas“.
Jede große Reise bedarf jedoch einiger initialer Instruktionen, interessanter Hintergrundinformationen, um die gewaltigen Eindrücke der Entdeckungsfahrt einordnen zu können. Darum sollen hier erstmal ein paar Notizen zum Subgenre „Pagan Folk“ verteilt werden: Lausche wohl! Mit „Pagan Folk“ verbindet man gemeinhin Bands wie „Faun“ oder „Omnia“. Was genau ihre Musik auszeichnet, wissen die Bands zum Teil selber nicht, also erklärte Oliver Pade ( Faun) 2004 bei einer Songansage in Utrecht im Sommer 2004:
„We don’t know ourselves what kind of music we play, so we call it paganfolk.“
Das gibt den Bands natürlich ungemeine Gestaltungsfreiheit, der Horizont scheint plötzlich grenzenlos und wir ziehen vor Furcht den Kopf ein, ja, scheuen beinahe, die Reise anzutreten. So weit, wie das Zitat von Oliver Pade ihn scheinen lässt, ist die Welt hinter dem Horizont glücklicherweise doch nicht. Die Landschaft des „Pagan Folk“ ist überwiegend geprägt von einer gewissen Naturverbundenheit und Mythen, sowie Sagen rund um alte Helden und Götterwelten, die neben Neuhochdeutsch und Finnisch in längst ausgestorbenen Sprachformen wie z.B. Mittelhochdeutsch, Altenglisch und dem damit verwandten Altisländisch, als auch in klassischem Latein wiedergeben werden. Diese Klangwelt ist erfüllt von archaischenen Instrumenten wie Dudelsäcken, Drehleiern, Harfen, Flöten aller Arten, der Bombarde und einer vielfältigen Percussion-Sektion.
Ein Aufatmen ist zu hören, werter Leser, ich vernehme es deutlich. Jawohl, wir wissen nun, was uns alles auf der Reise begegnen kann und derart ansehnlich ausgestattet, kann uns „Wûtas“ nun an die Hand auf den Weg in die Gegend des „wylde folk“ nehmen. Wir verlassen unsere behütete Welt und gelangen zunächst mitten in das „wûtas“ (sprich: wuotas), in eine „wilde Jagd“. Das alemannische Wort, das im alpenländischen Raum immer noch gebräuchlich ist, als Konzept sogar in ganz Europa existiert, bezeichnet die personifizierten, archaischen Kräfte der Natur, wild und unberechenbar – im positiven, wie negativen Sinne, denn wenn „s’Wûtas“ kam, konnte niemand erahnen, was geschah: Süße Belohnung, liebliche Klänge, grausamer Lärm oder qualvolle Bestrafung – es war alles möglich. Hüte Dich also, Reisender!Wir schauen uns weiter um. Wie hingerissen sehen wir der Morgenröte entgegen, während ein lauschiger Wind sanft über das Gesicht streift. Da, es dauert nicht lange – wir ahnten es schon – kommt Aiolos, der griechische Gott des Windes. Zu fürchten brauchen wir ihn gewiss nicht, denn schon Homer empfing er auf seiner Odyssee gastfreundlich auf den Äolischen Inseln und schenkte ihm einen Sack mit günstigen Winden für die Heimfahrt. Das kurze Stück ist adäquat dazu von wehenden Bläsern dominiert und einem Digerido-ähnlichen Hintergundgeräusch – geheimnisvoll.
Ziehen wir weiter. Bald schon dringt ein neues Geräusch an unsere Ohren. Beim genaueren orten des Klanges sehen wir den Halbgott Marsyas mit seiner Flöte aus einem blutroten Fluss steigen. Größenwahnsinnig forderte dieser einst Apollo, den Gott mal der Sonne und mal des Mondes, zum Wettkampf mit seinem Instrument auf, den die Musen zugunsten des Gottes mit seiner Kithara entschieden. Zur Strafe wurde Marsyas schließlich von Apollo an einer Fichte aufgehängt, während man ihm bei lebendigem Leib die Haut abgezog. Was wir nun hören, ist beinahe der Klang eben dieses lang vergangenen Wettkampfs, eine Flöte, die zunächst die Melodie in immer dem gleichen Lauf vorgibt und sich nächstens mit einer zweiten Stimme verschlingt, untermauert mit Kastagnetten-ähnlichem Klang.
Von der alten, fernen Welt der Götter kommen wir zu einem kleinen, kuscheligen Dorf, das beinahe makedonisch anmutet. Es wundert nicht, denn neben dem Gitarrenspieler und dem Dudelsackspielern sehen wir eine Reihe von Männern den Скудринка, also den Skudrinka tanzen. Es ist ein alter Oro, ein Volkstanz aus der Region Dolna Reka im Zweiviertel-Takt. Die Männer beginnen ihn in einem Halbkreis, während der Dudelsack die mittelalterlich anmutende Melodie vorgibt, später kommt wieder eine zweite Stimme dazu. Einen Stab halten sie, während sich ihre Hände in horizontaler Position befinden und sich dabei drehen und hüpfen. Gleichdarauf tanzen sie den Rond de St. Vincent, einen französischen Volkstanz. Da stößt uns jemand an, ein Finger zeigt neben uns auf gar unhöfliche Weise in die Menge und ein alter Mann mit Rauschebart munkelt uns hinter vorgehaltender Hand zu:
„Schaut, dort ist Cú Chulainn.“ Natürlich hat er nicht Cú Chulainn, sondern so etwas wie „Kuh-gchulinn“ gesagt und diejenigen unter uns, die des irischen mächtig sind, nicken andächtig: „Ah, der Hund von Culainn!“ Sie kennen den Helden selbstverständlich, schließlich ist er das irische Pendant zu Achill, besitzt er doch auch übermenschliche Fähigkeiten, die nur dann schwinden, wenn er ein Gastmahl ablehnt oder Hundefleisch isst. Da könnte ein böser Mensch auf den gemeinen Gedanken kommen, ihn zu einem Gastmahl einzuladen, bei dem ihm Hundefleisch vorgesetzt wird- möge ihm solch Verrat nicht passieren! Die treuen Bewunderer seiner Taten jedenfalls rufen mit den Musikern zusammen überschwänglich „Kuku-kuku-ku Cu-chulainn“, während ein Barde leidenschaftlich seine Taten besingt. Und wieder tanzen die Menschen zum Spiel der Dudelsäcke, die sich gegenseitig zu überholen scheinen. Ruhiger und getragener wird es erst wieder, als der Totentanz erklingt – andächtig lauschen wir der gewagten Kombination von Flöten und Harfe.
Lange bleibt die tanzwütige Meute dieses Dorfes jedoch nicht auf ihren Plätzen, unruhig warten sie auf den Andro, den ersten von den beiden, die gespielt werden wollen. „An-dro“, wird uns erklärt, ist bretonisch und heißt „die Drehung“. Ein angemessener Name für einen Kreis- oder Reihentanz aus der Region von Vannes im 2/4-Takt. Wir schauen den Tänzern zu und freuen uns über die Lebendigkeit, die vor allem durch die ein- und ausdrehenden Armbewegungen der Tanzdenden entsteht, sowie durch die Dramatik der Melodie. Fröhlicher wird es, als die Atholl Highlanders einmarschieren, die einzige legale Privatarmee Europas, die einst für die Sicherheit Queen Victorias sorgte. Auch heute steht sie wieder unter dem Kommando des Duke von Atholl und die Dudelsäcke quäken dazu fidel, feierlich und eindeutig schottisch-angehaucht, mit Oberstimmen und Unterstimmen, die sich gegenseitg zu übertreffen gedenken. Passend zu diesem feierlichen Anlass und den ganzen Gästen in diesem kleinen Dorf, der vortrefflichen Stimmung, die die Band dem Gelage verleiht, wird nun viel klarer Wein aufgefahren und die Band beginnt „Tourdion“ zu gröhlen, ein altes französisches Trinklied aus dem Jahr 1530 – … und es flötet und wir trinken und es dreht sich, dreht sich, dreht sich…. auch zum nächsten Andro. Als wir alle nicht mehr können, da erzählt uns eine Flöte die Geschichte von Diarmuid Agus Grainne – und wir schlafen völlig erschöpft und überwältig von allen Eindrücken auf dem Marktplatz ein. Am nächsten Morgen zwitschern die Vögel, nichts ist in unseren Taschen, neben uns leere Flaschen und ein paar Spielmänner, die auch noch höhnisch ein Lied übers Feiern und Musizieren singen, uns mit ihren Instrumenten in die Ohren quietschen – oh, unsere armen Köpfe…
Wir öffnen unsere Augen und sehen eine schöne grüne CD. Achja, wir erinnern uns, da war ja die Reise… Groß und gelblich steht „Wûtas“ auf dem Tonträger der Band, die sich im Januar 2008 der mittelalterlichen Martkmusik verschreibend gegründet hat und sich dann dem Folk zuwandte. Auf ihrer Platte, welche am 20.März bei Curzwehyl erschien, sind die Mittelaltermarkt-Einflüsse jedoch deutlich zu hören – wer sich bei solchen Klangspektren vergangener Jahrhunderte wohlfühlt, dafür aber mit relativ wenig Gesang auskommt, der wird seine Freude an dieser Band haben. Die besungenen Helden und Götter jedenfalls hätten sicherlich ein helles Vergnügen an der hochgezît gefunden, zu der Wûtas aufgespielt hätten.
Tracklist
- Aiolos
- Marsyas
- Skudrinka
- Rond St. Vincent
- Cu Chulainn
- Totentanz
- Andro I
- Atholl Highlanders
- Tourdion
- Andro II
- Diarmuid Agus Grainne
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