Ein gelungenes Debüt: das trifft auf Linzi Murphys ersten Auftritt in Deutschland ebenso zu wie auf ihre brandneue EP. Live zeigte sie beim Keltic Festival Hohenlimburg eine bemerkenswerte Stimme und ein sicheres Gespür, was die Auswahl geeigneter Songs und die Begleitung angeht. Bei den fünf aufgenommenen Titeln kann man studieren, wie ihr Gesang durch hervorragende Arrangements bestens zur Geltung gebracht wird, die sie maßgeblich mitgestaltet hat.
Die EP verbindet Traditionelles und Aktuelles in einer Weise, wie wir sie in Deutschland nicht gewohnt sind. Wer widmet sich denn gleichzeitig jahrhundertealtem Liedgut und aktuellen sozialkritischen Songs – die aber manchmal mehr miteinander zu tun haben, als man glauben könnte. Obwohl sie nicht damit aufgewachsen ist, steht Linzi fest in der schottischen Folk-Tradition. Sie hat sich gleich drei traditionelle Balladen vorgenommen. Es geht da etwa um einen Unhold, der junge Mädchen ermordet, wenn sie ihm nicht zu Willen sind, (Bonnie Banks O‘ Airdrie) oder eine Mutter, die ihre beiden Kinder mit einem Haarband erdrosselt (The Cruel Mother). Die düsteren Themen präsentiert sie sehr nüchtern, ihre Stimme hat eine aus der Tiefe kommende Kraft, die Gänsehaut erzeugen kann. Linzi besitzt kein besonders großes Stimmvolumen. Gerade ihre natürliche Art ohne jede Anbiederung macht sie zu einer guten Interpretin. Sie lässt die geschilderten Begebenheiten sehr real erscheinen.
Die raffinierten Arrangements bringen Spannung und lassen das Zuhören zum Vergnügen werden. Beteiligt waren einige Kollegen von der Paul McKenna-Band. Sie sorgen an Saiteninstrumenten und Percussion für eine pulsierende Unterströmung, die mit dem Gesang kontrastiert. Neben den sehr geschickt gemachten Gitarrenspuren sind einzelne Melodieinstrumente eingebunden, Pipes und Concertina lassen den ersten Song mit einem kraftvollen Marsch ausklingen, Piano, Fiddle und Low Whistle-Soli tragen an anderer Stelle zur intensiven Atmosphäre bei.
Die dritte Ballade Otterburn hat nur eine schlichte Gitarrenbegleitung und bildet den ruhigen Mittelteil, ist aber trotzdem auf eine wieder andere Weise wirkungsvoll. Am Ende stehen zwei sehr gute aktuelle Songs, die auf Linzis Vorbilder verweisen. Im Titelstück von Karine Polwart werden Bilder von marschierenden Männern heraufbeschworen, wobei man nicht sicher sein kann, was gemeint ist. Medusa erinnert ein wenig an Lieder von Suzanne Vega oder Tracy Chapman. Wunderbar ironisch ist Dick Gaughan’s Shipwreck: ein Top-Manager ist allein gestrandet und muss sich mit einer ungezähmten Natur auseinandersetzen, die vor seinem Sozialstatus keinen Respekt hat.
Medusa gehört zu den Alben, die einem mit jedem Hören mehr ans Herz wachsen. Linzi hat neben ihrem Talent die richtigen musikalischen Freunde und die richtige Einstellung: das zu tun, was ihr wichtig ist und Spaß macht, ohne auf Teufelkommraus die Massen begeistern zu wollen.
Der EP ist verständlicherweise nur ein Einlegeblatt und kein Booklet beigefügt. Da die mit starkem schottischen Akzent gesungenen Texte nicht ohne weiteres zu verstehen sind, wäre es sinnvoll, sie auf die Homepage zu stellen. Beim Festival in Hohenlimburg hat sich allerdings gezeigt, dass Linzi ein Publikum packen kann, auch wenn es den Inhalt nicht wörtlich mitbekommt.
Trackliste
1. Bonnie Banks O‘ Airdrie
2. The Cruel Mother
3. Otterburn
4. Medusa
5. Shipwreck
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