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Dizzy Spell ~ I Once Loved A Lass (2013)

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I Once Loved A Lass
I Once Loved A Lass

Seit letztem Jahr touren Dizzy Spell mit einem liebeslyrischen Programm durch die Gestade der Republik. Nun war es an der Zeit, diesem musischen Tun auch mit einem dritten Silberling auch nachhaltig und für den heimischen Hörgenuss gerecht zu werden. Es entstand der neuntitelige Silberling I Once Loved A Lass, der alles andere als nervenaufreibend zu hören ist, und so im Selbstvollzug den Bandnamen ad absurdum führt. Auf die Nachfrage, ob der Titel auch inhaltlich richtungsweisend für das Album ist, antwortete Sänger, Gitarrist, Fiddler und Produzent Jan Oelmann wie folgt:

Fast. Wir sind seit vergangenem Jahr mit einem Liebeslieder-Programm auf Tour – und die dafür entstandenen Lieder liefern den Grundstock für das Album. Aber es haben sich auch ein paar Volkslieder dazwischengemogelt, die eher entfernt etwas mit dem Thema Liebe zu tun haben. Die haben uns dann einfach gefallen – und wir hatten einfach eine frische Idee dafür – das war am Ende wichtiger, als alles auf Krampf in ein Konzept zu pressen.

Der Opener des Albums, The Blacksmith, erklingt in Englisch, indes das Album ein buntes Miteinander unterschiedlichster Sprachen entfaltet. Da sich zu der Band Brandan einige personelle Überschneidungen festzustellen sind, lag also die Frage nahe, ob auch das neue Album von Dizzy Spell der Sprachaffinität verschrieben sein könnte. Dazu antwortet Juliane, an Gesang und Querflöte zu hören, wie folgt:

Es sind natürlich wieder verschiedene europäische Sprachen zu hören, neben Englisch auch Gälisch und Galizisch (einer Sprache in Nordspanien). Ein absolutes Novum ist mit Regen und Sturm ein komplettes Lied auf Hochdeutsch. Dafür hat der befreundete Texter Thomas Kolitsch eine deutsche Nachdichtung der US-amerikanischen Ballade „Wind and Rain“ angefertigt. Es ist eine recht düstere Geschichte: Eine Frau stößt Ihre jüngere Schwester aus Eifersucht in den Fluss. Aus Ihren Gebeinen fertigt dann ein Instrumentenbauer eine Zaubergeige, die nur ein einziges Lied spielen kann. Ein kleiner Vorgeschmack übrigens auf unser nächstes Projekt, dann mit konsequent deutschen Texten. Arbeitstitel: Volkslieder – und solche die es sein sollten.

Wie auch bei dem Weihnachtsalbum An Nollaig entfaltet sich die Musikalität des Trios insbesondere qua stimmliche Differenziertheit, die eigentlich dem folkloristischen Anspruch tendenziell übergerecht wird. In Zeiten offbeathackigen Punkgebrülles und der Überbewertung von Unisono-Gesängen setzen Dizzy Spell einen Impuls, der richtungsweisend für die Folkszene sein sollte. Auffällig ist indes, dass– wie auf dem Cover ersichtlich – die Band nun als Trio auftritt. Dazu merkte Jan folgendes an:

Unsere zwei Live-Kollegen Oliver Soos und Matthias Landgraf waren beruflich so eingespannt, dass wir die Platte als Trio mit unserer Perkussionistin Kerstin Braun konzipiert haben – und dafür viele großartige Gastmusiker eingeladen haben. Zum Beispiel Stephan Groth an der Drehleier und an den Whistles. Er hat uns jahrelang auch live begleitet, bevor er zu einer bekannten Mittelalter-Band gewechselt ist. Außerdem gibt es mit „Por Que Non Hei De Cantare“ auch erstmals einen Track, auf dem ein komplettes Schlagzeug zu hören ist – das hat Philipp von Strauch eingetrommelt, der auch für die Aufnahmen zuständig war.

Und grade dieser wuchtige Sound tut dem dritten Titel, Por Que Non Hei de Cantare, sehr gut. Indes Jans Stimme umterzt und bequintet wird, bricht sich das scheppernde Blech, getragen von der beinahe perkussiv eingesetzten Gitarre, seine Bahn ins musische Ohr. Dem folgt der Namengeber des Albums, I Once Loved A Lass. Während sich die Fiddle ein breites Largo ergießt und dem sanften, wiewohl stimmgewaltigen Bel Canto Julianes, eine akkordische Einbettung vermacht, umspielen Gitarre und Bass dieses Stelldichein in wohltuender Unaufgeregtheit, die auf jedwedes Vordränglertum verzichtet. Man meint fast, dass dem Genius die stille Zurückhaltung innewohnen müsse.

So mäandern sich die meisten Titel angenehm zurückhaltend in das musische Gemüt, überzeugen vielerorts durch ein subtiles Mehr, das erst als solches seine Wirkung erzielt. So gelingt dem Trio ein Brückenschlag, der in Zeiten inflationären CD-Veröffentlichens viel zu selten geworden ist: So kleidet sich die Melancholie in echte Trauer, ohne Bitterkeit, musische Ausgelassenheit in Heiterkeit ohne Affekt. Unter solch musikalischer Federführung wird selbst das Lied Henry My Son zum kindgerechten Schlaf- und ebenso zum erwachsenenangemessen Träumlied:

Die Storys der Lieder sind schon wichtig – und in Volksliedern oft herrlich haarsträubend. Das Lied Henry My Son etwa handelt von einem schwer depressiven Lord, der morgens nicht aus dem Bett kommt. Sein Vater fragt ihn, was er seiner Familie denn einmal zu hinterlassen gedenke. Die lakonische Antwort: Den Kindern den Schlüssel zum Himmel, der Ehefrau einen Strick um sich aufzuhängen. Großartig.

So setzen sich Musikalität und Innovation durch das ganze Album fort. Der fast ausschließlich in wenig befriedigenden Aufnahmen festgehaltene Titel Raggle Taggle Gypsys wird einem vorbildlichen Anspruch gerecht: So kleidet sich das Bekannte in eine Gewandung, die sowohl technisch anspruchsvoll, als auch intuitiv eingängig ist.

Wer in Zeiten allgegenwärtiger Verrockung oder puristischer Bestrebungen mal wieder Lust auf ein traditionelles Novum hat, wird von I Once Loved A Lass begeistert sei. Hier vereinen sich Spielkunst und volksliedhafte Eingängigkeit, aber auch Neues und Altes. Und wer dazu noch augenzwinkernd ausgibt, das eigene musische Ziel sei „Weltfrieden, darunter machen wir es nicht“, dem sei alle notwendige ironische Elastizität virtuosen und unterhaltsamen Folks unterstellt.

 

Trackliste

  1. The Blacksmith
  2. Déirin Dé
  3. Por Que Non Hei de Cantare
  4. I Once Loved A Lass
  5. Kellswater
  6. Regen und Sturm
  7. Henry My Son
  8. Raggle Taggle Gypsy
  9. Sternlein  

 

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