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Carlos Núñez ~ Discover (2012)

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Discover
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Bei einem Doppelalbum, das es mit 39 Titeln auf eine Länge von 144 Minuten bringt, gilt es exorbitante Erwartungen zu erfüllen, um nicht zu langweilen, will man als Urheber mehr als einen Soundtrack zur heimischen Ordnungsbewältigung schreiben – und dies sei dem medial als „new king of the Celts“ inszenierten Vielinstrumentalisten unterstellt. Dass sich Carlos Núñez nicht selbst die Prädikate zuweist, sondern diese Zuweisung durch eine außenstehende Instanz erfolgt, kleidet den „Jimmy Hendrix of the bagpipes“ in wohlfeile Bescheidenheit. Dass dies in Zeiten selbstüberschätzender Superlative nicht immer so ist, bewies vor kurzem GOD.

Amanecer eröffnet den Reigen der Doppelsilberlinge und sehnsüchtelt in bester Auenlandmanier. So schluchzt sich die stehende Luftsäule an die Grenzen des Kitsches, ohne sie jedoch zu überschreiten. A Irmandade Das Estrelas beweist die emotionale Vielfältigkeit des Albums. Nach einem ruhigen Intro, vorgetragen im Wechselspiel einer exzellenten Gitarre und „seiner Majestät“, übernimmt ein Akkordeon die Melodie, indes die Gitarre rhythmisiert. Es folgt der beinahe klassisch anmutende Klang Núñez‘ Flötenspiels. Und indes sich die Kastagnetten mit der unisono wetteifernden Melodie duelliert, schaffen Breaks und unerwartete Akkordmodulationen, nebst den euphorischen Zwischenrufen spanischen Tanzblutes, immer wieder Pausen zum Aufatmen. Und während noch die letzte Luft aus der Flöte entweicht, erklingt schon der ruhige Bordun des Dudelsacks. Ein bravouröses Stück, das von der leidenschaftlichen Herkunft seines Urhebers zeugt.

Das dritte Stück, Titulos Finales, präsentiert nun imposante Filmmusik, die die Aussicht Kolumbus‘ auf die neue Welt assoziieren lassen. Dass eine orchestrale Gewandung nicht per se in Gigantomanie und Stereotypisierung verfallen muss – siehe GOD – wird hier par excellence bewiesen. Akustisch wird hier ein Bild gezaubert, das jedem Heldenepos gerecht würde. Beim vierten Titel des Albums, Negra Sombra erklingt zum ersten Mal eine Stimme und verweist auf eine fulminante Gastmusikergarde. Dazu gehören u.a. The Chieftains, Sinéad O’Connor, The Waterboys, aber auch die Opern-Diva Montserrat Caballé, Slide-Gitarren-Meister Ry Cooder und der Singer- und Songwriter Jackson Browne. Aber auch das Orchester Galiziens gewährt dem Frontmann ein musisches Stell-dich-ein.

Ebenso vielfältig wie die Instrumentation Núñez‘ selbst und die ihn begleitenden Musiker ist auch die stilistische Verortung der Doppel-CD. Zwischen Galizien, Portugal, Spanien, aber auch typisch keltischen Klängen gibt es einen musikalischen Brückenschlag zwischen den Kontinenten dieser Erde. So erfrischen die zwischen orchestraler Gewalt und intimer Kammermusikalität pendelnden Tracks des Albums immer wieder durch lateinamerikanische Exkurse. Folglich erklingt keltische Musik neben brasilianischer, und beides begibt sich in eine derartige Symbiose, das man beinahe meint, das entstandene Konglomerat sei notwendig, wiewohl historisch und lokal klar voneinander getrennt, zusammengehörig.

Genau das ist es, was der hiesigen Folkloreszene zunehmend abgeht. Echtes folkloristisches Schaffen kann bequem auf den üblichen Klassiker-Kanon von Drunken Sailor und Whiskey in the Yar verzichten, wenn es doch durch Vielfalt um vielfaches mehr zu überzeugen weiß. Es ist nicht das gegenwärtige Quasi-Punk-Offbeat-Gehacke, gepaart mit einem Pseudo-Folklore-Instrument wie Geige oder Akkordeon, das richtungsweisend für eine pluralistische Musikszene sein sollte, sondern das Aufgreifen von Unterschiedlichkeiten, das Wagen von Symbiosen und dem Neuen. Der „Kolumbus der Weltmusik“ vereint musikalische Virtuosität und Innovation, inszeniert gigantisch, wo es dem Gesamtduktus zuträglich ist, verzichtet auf Kitsch, wo das Gefühl zu sprechen hat, und schafft einen weltmusischen Brückenschlag, der seines gleichen sucht. Diente Núñez der gegenwärtigen, bundesrepublikanischen Folkszene nur ein wenig als Impuls, so wäre dem bedauernswerten Nivellieren der Stile endlich ein Abbruch getan. Dies ist Vielfalt in Potenz und stilistischer Wagemut, der hoffentlich zum Impuls avanciert.

Trackliste – CD1

  1. Amanecer (Dawn)
  2. A Irmandade das Estrelas
  3. Titulos Finales (Mar Adentro)
  4. Negra Sombra
  5. Marcha Do Entrelazado De Allariz (W./Orquesta Sinfonica de Galicia)
  6. Maria Solina
  7. A Orillas Del Rio Sil
  8. Concerto De Aranjuez – Adagio
  9. Viva La Quinta Brigada
  10. A Lavandeira Da Noite
  11. Cantigueiras (Edit)
  12. Lela
  13. Jigs & Bulls
  14. Galleguita (Tango) (Directo)
  15. Galleguita/Tutenkhamen
  16. Para Vigo Me Voy
  17. Guadalupe
  18. Padaria Eletrica Da Barra
  19. Nau Bretoa

Trackliste – CD2

  1. The Crow On The Cradle (edit version)
  2. Aires De Pontevedra (edit version)
  3. Camino De Santiago (Directo – edit)
  4. Pasacorredoiras
  5. The Moon Says Hello
  6. The Raggle Taggle Gipsy; The Raggle Taggle Gipsy The Clumsy Lover The Heathery Breeze
  7. Karante Doh Doue
  8. Three Pipers
  9. St Patrick’s An Dro
  10. Women Of Ireland
  11. Bolero
  12. Diferencias Sobre la Gayta
  13. Prelude A La Suite Pour Violoncelle N°1
  14. Alborada de Vigo
  15. The Foggy Dew
  16. Shining Boy & Little Randy (End Roll)
  17. Ocean Of Sound
  18. Morning Poem
  19. Ponthus et Sidoine
  20. Salve Finisterrae

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